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Es gibt Menschen die leben geradezu im „Warum“. Die ewigen Opfer in dem „Warum immer ich“ und die anderen in der Illusion der Kontrolle in einer einfachen linear-kausalen Welt. Für Naturwissenschaftler und Ingenieure mag das berechtigt sein, für Führungskräfte die mit komplexen, non linearen Systemen zu tun haben, ist beides verheerend.

Als ich vor 10 Jahren bei Boudewijn Vermeulen „Train The Coach“ gemacht habe, bin ich -wie alle anderen auch- mit Bodenheimer konfrontiert worden. Das kleine Reklam Heft mit dem Titel „Warum – von der Obszönität des Fragens“ -den ich mir für den Beitrag geliehen habe- , war damals schon eine Herausforderung, hat mich aber letztendlich dahin gebracht sehr bewusst mit Fragen umzugehen und eine eine zeit lang fast gänzlich darauf zu verzichten. Bis ich mich in eine fast 3 Jährige integral-therapeutisch orientierte Ausbildung getraut habe. Dann war’s mit der Beherrschung vorbei. Fragen, Fragen, Fragen alles natürlich unter dem Aspekt der Bewusstmachung, des Aufdeckens … Extrem nervig und ich bemitleide heute noch meine Coaching Klienten die in dieser Phase meiner Arbeit zu mir gekommen sind.

Das hat sich alles ein bisschen verschliffen. Was mir persönlich lange geblieben ist, ist mein Unwohlsein anderen Rede und Antwort zu stehen. Insbesondere in sog. Interview Situationen oder bei Assessments. Ich bin da immer wieder sprachlos.  Nicht, weil mir nichts einfallen würde – in die Verlegenheit kommen ich selten – sondern aus Empörung und weil ich nicht weiß, wie ich mein zickiges Ich in der Situation umschiffen kann. Ich hasse das… Gottfried Benrath, den ein lange verstorbener, sehr guter Freund oft zitierte, sagt:

Rede und Antwort zu stehen Unbefugten, ist der Anfang vom Untergang.

Ich glaube, das war zur Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus und er hatte sicher den Kern der Sache getroffen. Ein Gespräch wird zum Verhör wenn Ungleichheit zwischen dem Fragenden und dem, der Antwort gibt -geben muss- herrscht. Ein typisches Phänomen von totalitären Regimen und  Machthierarchien, das häufig mit dem Verlust von Selbstbestimmtheit und Würde einhergeht. Was allein schon verletzend genug ist. Erstaunlich, wie wenig Sensibilität für dieses Thema heute noch da ist. Wer mal einen Job gesucht hat, weiß was ich meine.

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Die Warum Frage ist dabei eine der fiesesten. Gerade weil sie scheinbar so harmlos daher kommt. „Warum“ kann ja immer auch echtes Interesse am Anderen ausdrücken. – also „Gib‘ mir die Möglichkeit, dich besser zu verstehen…“ und darauf fallen wir immer wieder herein – in unserer Hilflosigkeit dem Primärbedürfnis gegenüber er- und anerkannt zu werden.

 

Ich glaube, das Dilemma geht früh in der Kindheit los. Warum hast du … geschlagen, gemacht, genommen, nicht zurückgegeben, warum kommst du jetzt erst?

Ich habe etwas verbockt, – was meist meint, eine Regel verletzt zu haben, die ich gar nicht aufgestellt habe… – jemand kommt dahinter, was eh schon peinlich genug ist und dann wird das ganze genüsslich breitgetreten – mit einer Frage, die ich meist gar nicht beantworten kann, oder die mich zum Lügen zwingt, weil die Antwort nicht erwünscht ist!

Später wird „Warum“ gerne mit „Immer“ kombiniert. Der Beziehungsklassiker bzw. -Killer. Also: Warum musst du immer die Klobrille offen lassen!

Nicht das „warum“ ist grundsätzlich fies, sondern die Absicht dahinter. Der Subtext, der dabei mitschwingt ist je nach Grad der Verstimmung des Sprechers leicht bis schwer verletzend. Und diese „Verpackung“ macht, dass Warum Fragen oft hochgradig unanständig sind. Ich wundere mich immer wieder, dass Eltern dafür oft ein erstaunlich schlecht ausgeprägtes Gespür haben.

Aktuell, während der Fertigstellung dieses Beitrags, bin ich einer Mutter mit einem weinenden Kind – beide mit Fahrrad – begegnet, die ihren vielleicht 5 jährigen Sohn sichtlich gernervt und agressiv mit warum Fragen überschüttet hat: Warum fährst du nicht weiter! Warum schreist Du mich an! Warum weinst du schon wieder! – Hätte nur noch gefehlt: Warum bist du überhaupt auf der Welt. Ich möchte nicht wissen, wie sich das für das Kind anfühlt. Die Botschaft dahinter ist im besten Fall: mit dir stimmt etwas nicht.

Das Englische „what is wrong with you“ kommt dem nahe – wobei niemand auf die Idee käme das als Frage zu verstehen und darauf zu beantworten. Hier überwiegt der Vorwurf und der ist klar ausgesprochen. Hier ein Beispiel aus der Erwachsenen Welt,  ein original Kommentar zu einem frühen Blog Beitrag (die „…“ stammen vom Schreiber):

Nett, dass Du unser Gespräch als Aufhänger für Deinen… Blog oder wie auch immer man das nennt, genommen hast. Klingt allerdings alles etwas klugscheisserisch. Der kluge Herr Kellerbauer rät….. Aber lieber Axel: warum? …schon wieder so eine, von Dir nicht geschätzte Frage- nochmals: warum wohl nicht geschätzt ?-  warum gibst Du anderen im Netz Ratschläge, die Du vielleicht selbst mal ausprobieren solltet. Was ist mit Deiner persönlichen Veränderung? Hat sich da in den letzten Jahren  etwas verändert, entwickelt? Warum bläst Du Dich im Netz so auf? Wie willst Du anderen helfen, erfolgreicher zu werden, wenn Du es selbst nicht schaffst? Wie und/oder warum blockierst Du Dich?

Der Mensch kennt meine Schwächen. Aber merken Sie’s? Wenn ich ahnungslos auf den Text einsteige, sucht mein Gehirn nach Antworten auf Fragen, die ich nicht beantworten kann. Und mit der Sprachlosigkeit und jedem Warum wächst das Gefühl, dass mit mir etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist. Was am Ende der Mail auch klar formuliert wird. Das ist die Nachricht. Das Warum dient nur dazu weit aus zu holen und dem Schlag richtig Kraft zu verleihen.

 

Wenn Sie also von ihrem Chef/in das nächste Mal gefragt werden: „Warum ist … noch nicht fertig“, dann ahnen Sie vielleicht schon, dass Sie in dem Moment verloren haben, wenn sie diese Frage wörtlich nehmen und anfangen nach Antworten zu suchen oder Rechenschaft abzulegen.

Dann haben Sie ein Verhör in dem Sie auf der falschen Seite sitzen.

Wenn Sie eine Zusage gemacht haben und sie nicht eingehalten haben, dann ist ihre Integrität verletzt. Die wird durch Erklärungen übrigens nicht wieder hergestellt. Sie können das also gleich bleiben lassen – und die Sache einfach eingestehen. Vielleicht mit einer Bitte um Entschuldigung verbunden. Und dann haben Sie das unsägliche „Warum“ vielleicht gleich mit vom Tisch…

 

photo credit: Thwip! (Formerly Macwagen) via photopin cc