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Normale Depression oder Frühlingsblues nach dem Winterschlaf.

Wenn die Welt wieder zaghaft farbig wird, schießen mir dumme Gedanken durch den Kopf, wie die Krokusse aus dem Boden. Warum wächst alles um mich herum, nur ich habe vor 30 Jahren aufgehört.

Wann habe ich eigentlich in den „survival mode“ geschaltet?

Als wir gelernt haben, dem Leben mit Wissen und Können statt mit Neugier und Mut zu begegnen? Als wir das Leben immer mehr geordnet haben aus Angst vor ständig neuen Herausforderungen? Als wir lauter kleine Schachteln gebaut haben in dem völlig irrsinnigen Versuch etwas so großes wie Leben einzufangen und zu „entschärfen“? Als wir den „Kollektiven Traum“ unserer Eltern, der uns nicht nur sagt wer ich bin, sondern auch, wie ich zu sein habe – gegen die warnende Stimme in unserem Inneren angenommen haben? Wolf Büntig fällt mir ein, der dieses Leben in der Norm vor Jahren schon „Normale Depression“ genannt hat. Oder,  wie der Osten provokant sagt: als wir uns entschieden haben, das Gefäß, das wir sind,  zu schmücken anstatt es an zufüllen?

 

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Natürlich – das hat nur mit den anderen zu tun, nicht mit mir… Ich weiß.

Da sind Sie nicht alleine. Gerade Führungskräfte und Manager meinen oft alles zu tun um sich konstant weiter zu entwickeln. Ich hatte dieses Gespräch mit einer Freundin, die im gehobenen Management ist und im Laufe ihrer Karriere etliche Kurse mitgemacht hat. Natürlich ist sie die Ausnahme, sie würde schließlich auch „privat“ intensiv an ihrer Entwicklung arbeiten. Und zum Beweis zählt sie eine beeindruckende Liste von namhaften Selbstverwirklichungsprogrammen auf und endet damit, dass sie jetzt auch noch einen Nähkurs belegt hätte, der eine echte Veränderung darstelle, weil sie das immer schon tun wollte und die eigens dafür angeschaffte Nähmaschine seit Jahren ungenutzt im Keller stünde. Es war nur ihrer Großzügigkeit zu verdanken, dass meine darauf folgende Erwiderung nicht zum sofortigen Aus unserer Freundschaft geführt hat.

Also: Richtig. Das ist etwas Neues. Aber das sind nur Veränderungen innerhalb der Komfortzone, ein „Abenteuer in der Schachtel“. Vielleicht mit ein paar kurzen Ausflügen an die frische Luft , ein paar Souvenirs vom Inka Trail und einer aufgehübschten Fassade die den Nachbarn vor Neid erblassen lässt. Das war’s dann auch schon. Warum ich das so pointiert bringe? Nicht aus mangelnder Wertschätzung, sondern weil die Normale Depression damit nicht weg geht. Weil die Zukunft „default“, also vorhersehbar bleibt. Weil sich der Kontext nicht wirklich ändert und weil die Leute nach wie vor ausbrennen und sich -und andere fertig machen.

Wenn Sie mir nicht folgen können, stecken sie entweder mitten drin – es gibt tatsächlich eine Lebensphase, in der  Menschen dafür kaum ansprechbar sind, weil Familie, Karriere, Urlaube, Projekte, also der „Collective Dream“ absolute Priorität haben. Oder Sie sind durch. Dann lade ich Sie ein, mit mir in Kontakt zu treten. Sie gehören wahrscheinlich zu den Menschen, die ich um mich haben möchte, weil sie mein Leben bereichern und mich ermutigen.

 

Die Lösung? Auf keinen Fall „Mehr Desselben“. Das wussten schon die Konstruktivisten um Watzlawick.

Und auch wenn ich mich damit bei allen HR’lern und ambitionierten Führungskräften ins Abseits schieße: das gilt auch für das allseits beliebte „Potentiale Entwickeln Spiel“. Ich vermute übrigens, dass es die geheime Mission aller Personalentwickler ist, alle in der Unternehmens-Schachtel zu halten. Das macht auch Sinn wenn es um Stabilität geht; ist aber völlig unbrauchbar, wenn das Unternehmen Großartiges im Bereich future / innovation leisten will oder muss.

Und das müssen wir demnächst vermutlich alle. Wenn Sie sich an diesen Gedanken noch nicht gewöhnt haben, tun Sie es bitte schnell. Ich erlebe die Folgen dieses verlängerten „Winterschlafes“ gerade hautnah bei der deutschen Automobilindustrie. Aber das ist eine anderes Thema.

Zurück zu Ihnen und mir. Wenn das vorherrschende Lebensgefühl Normale Depression ist und Sie das optimieren, was sie immer schon tun und wissen, dann ist es relativ wahrscheinlich, dass Sie ihre Depression gleich mit optimieren. Viel Spaß. Ich hätte mich gefreut, wenn mir das vor 30 Jahren mal jemand gesagt hätte.

 

Der Weg heraus liegt darin etwas völlig Neues, etwas „Unerhöhrtes“ zu tun.

Psychologisch gesehen heißt das aus dem angepassten normativen Zustand heraustreten, das „Freie Kind“ reaktivieren, wieder experimentieren, zu spielen und in einer Lebendigkeit aufzugehen, die Sie schon lange ad acta gelegt haben.

Die Kehrseite: Sie werden auffallen, Fehler machen, ihre Schwächen zeigen und dabei ziemlich ungeschützt da stehen. Sie werden angreifbar sein. Vice versa: ohne diese Verletzbarkeit kommen Sie nicht in die Freiheit. Damit können wir als Erwachsene nur schwer umgehen. Aber wer kann schon in voller Rüstung tanzen?

Ontologisch gesehen heißt das: die Reaktivität aufgeben und proaktiv etwas in ihr Leben oder Denk- und Handlungssrepertoire einbringen, das Sie sich normaler Weise nicht zugestehen können. Was das ist? Vermutlich genau das Gegenteil von dem, was sie immer tun, denken oder unterlassen zu tun.

Wenn es Ihnen hier gelingt Ihren Widerstand und ihr Bedürfnis Recht zu haben zu überwinden, kommen Sie vielleicht zu neuen Erfahrungen und dadurch – Denken alleine reicht nicht! – wieder in Kontakt mit dem, was für Sie jenseits der Norm und der „Vernunft“ möglich ist:

mit ihren verdrängten Wünschen, ihren wirklich verrückten und oft vergessenen großartigen Ideen und dem Gefühl von Lebendigkeit,  Kraft und Weite. Mit Ihrer Größe und der des Lebens. Und dem Vertrauen darauf, dass wir hier sind um uns zu entfalten. Auch Sie und ich. Ganz egal wo wir gerade stehen oder zu sein glauben. Das ist das Wunder unserer Existenz.

Das kann durchaus eine transpersonale oder spirituelle Erfahrung sein. Dann können Sie meine vielen Worte getrost durch eine einziges ersetzen: Gott.

Wenn Sie schon lange in dem Zustand der Normalen Depression gelebt haben, würde ich das als Transformation bezeichnen- oder als ein Erwachen nach einem sehr langen Winterschlaf.

Die Natur macht es jedes Jahr um diese Zeit wieder vor.

Aber weil die Menschen nach wie vor ihren Flügeln nicht trauen, fliegen wir alle zu niedrig. Was uns weder ehrt noch rettet. Denn die Federn werden durch den ständigen Kontakt mit  Wasser immer schwerer und irgendwann, im Laufe des Lebens, wird Fliegen zur Qual und nur mit ständigem Gebrauch von Betäubungsmitteln erträglich.

Das ist der vergessene Teil der Ikarus Legende, dem Seth Godin ein ganzes Buch gewidmet hat. The Ikarus Deception. Wenn Sie Mut zum Hoch Fliegen brauchen und Stoff zum Lesen in der Frühlingssonne, eine klare Empfehlung.

 

Und noch eine letzter Hinweis falls ich sie arg verwirrt habe: Sie sind völlig in Ordnung wie sie jetzt sind und sie dürfen trotzdem ein bisschen verrückt sein. Das passt in die Jahreszeit. Genauso wie verliebt zu sein. Beides ist ein Raum zur Entfaltung jenseits der Vernunft. Und das ist im Frühling einfach am Schönsten.