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Führungskräfte, Coaches, Consultants, Lehrer, Eltern … Ohne Kritik, neudeutsch”Feedback” geht heute nichts mehr. Die Trainings sind voll von Ratschlägen, wie man/frau im sensiblen Grünen Mem mit Kritik umgehen soll- und meist vergeblich. Kritik ist immer vernichtend und die Situationen, in denen Kritik als Anregung verstanden wird sind an der sprichwörtlichen einen Hand abzählbar. Da weiß jeder aus eigener Erfahrung.

Warum also noch ein Beitrag zu dem Thema Feedback? Weil ich glaube, dass seit Jahren etwas Wesentliches unterschlagen wird. Vielleicht sogar der Schlüssel zu diesem heiklen Thema. Um es kurz zu machen:

Kritik ist eine Kunst. Nämlich in Selbstbeherrschung.

Dazu eine kurze Geschichte. Ich war vor 5 oder 6 Jahren auf Wunsch eines Managers bei der Personalentwicklung eines Energieversorgers vorstellig geworden. Das Thema wie immer: die Führungskraft wollte mich als Coach und der Arbeitgeber sollte das bezahlen. Also musste ich von München aus anreisen, und mich dem Assessment der 2 Personalentwickler stellen. Was anfänglich ganz nett begann wurde bald zur Herausforderung. Die beiden waren –wohlwollend ausgedrückt- methodisch weit von meiner sehr ergebnisoffenen Arbeit entfernt und Entwicklung war für sie ein einfacher linearer Prozess – am besten der kürzeste Weg von A nach B. Was mich immer aufregt, wenn es um Menschen geht. Kurzum, die beiden haben sich durch mich herausgefordert gefühlt und waren nach einer 3/4 Stunde ausgesprochen beleidigt. Mir war klar, das ich die Chance verbockt hatte.

Ich war dabei mich zu verabschieden, als beide meinten, sie müssten mir jetzt aber noch Feedback zu unserem Gespräch geben. Alle Versuche meinerseits dankend abzulehnen wurden überhört. Ich hätte mir das anzuhören. Nicht nur, dass die beiden sich hervorragend darin ergänzten, Kritik zu kumulieren und sich gegenseitig zu bestätigen; sie haben unter dem Deckmantel von Feedback vor allem ihren Frust abgelassen –und zwar ohne dass ihnen das wirklich bewusst gewesen wäre. Die Absicht war sicher nobel – wir (vermutlich vor allem ich) sollten wenigstens etwas lernen, wenn das Gespräch schon gescheitert war.

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De facto haben sie versucht mir zum Abschied nochmal eine Ladung mitzugeben  von der ich ohne Supervision meines damaligen fantastischen Ausbilders Boudewijn Vermeulen wahrscheinlich eine ganze Zeit nicht erholt hätte. Ich denke heute noch mit Mitgefühl an die Angestellten dieses nicht gerade kleinen Unternehmens.

Die Sache ist übrigens  für alle gut ausgegangen. Mein Coachee ist für seine Sitzungen jedes mal 150km nach München gefahren und hat aus der eigenen Tasche bezahlt und die beiden Personalentwickler haben mich nie wieder gesehen.

 

Die erste Lektion

Wenn sie es vermeiden können Feedback zu geben, tun sie es NICHT!

Das mag für manche eine echte Lektion in Selbstbeherrschung sein. Und das soll es auch. Flüchten sie, halten sie den Mund, weigern sie sich, täuschen sie wichtige Termine vor.

Lernen sie sich selbst dabei kennen. Es geht nicht darum perfekt zu sein. Das Experiment zählt. Das Ausprobieren. Wie geht es mir dabei, wer bin ich, wenn ich nicht meinen Senf dazu gebe. Ein Gedanke für ihre Aufmerksamkeit: es könnte sein, dass die Beziehungsqualität steigt.

 

Noch einmal: Vermeiden sie es Feedback zu geben. Auch wenn sie darum gefragt werden. Denn die meisten Menschen, die zu anderen kommen und um deren Meinung zu hören, wollen keine Kritik, sondern Anerkennung bzw. Beachtung. Eltern wissen das. Manche Psychologen auch. Beachtung ist ein menschliches Grundbedürfnis, das im Laufe der Erziehung nur allzuoft mit dem Leistungsgedanken korrumpiert wird. Dann werde ich nicht mehr beachtet für das, was ich bin, sondern für das, was ich tue. Und das öffnet Manipulation und Missbrauch alle Türen. Wenn ihre Unternehmenskultur darauf beruht, verlassen sie die Firma, solange sie noch nicht abhängig sind.

Ein extrem unangenehmer side effect von Kulturen des Lobens und Tadelns ist, dass Mitarbeiter zu Kindern gemacht werden. Das ist zwar im ersten Moment ganz “nett”, weil es die Rolle der Führungskräfte unangetastet lässt, hat aber die Nebenwirkungen die Kraft kosten. Dann nämlich, wenn Sie Mitarbeitern haben, die jede Möglichkeit nutzen um um Ihre Aufmerksamkeit zu buhlen, nichts selbstständig fertig bringen und keine Verantwortung übernehmen.

Aber es gibt nicht nur angepasste Kinder –unser Unternehmen sind voll davon- sondern auch die rebellischen Kinder. Das ist die andere Seite der selben Medaille, aber anstrengender. Und dann die Mischformen: die nach außen angepassten und heimlich rebellierenden. Die Mitarbeiter im Unternehmen, die heimlich boykottieren, Systeme frustrieren, mobben, innerlich gekündigt haben, sich bereichern und betrügen.

 

Und hier die Prinzipien, wenn sie trotz allem nicht darum herum kommen, Feedback oder Kritik zu geben.
Die 2. Lektion in Einzelschritten.

1. Seien sie positiv!

Nehmen sie sich Zeit vor dem Gespräch und listen sie alles was ihnen gut gefallen hat, was sie inspiriert hat, was sie genial fanden, was sie zum Lachen gebracht und gefreut hat. Bleiben sie ehrlich, menschlich und kollegial. Das ist wörtlich gemeint.

Das Experiment besteht darin, dies vorher schriftlich zu machen. Wenn es um etwa Geschriebenes geht, markieren sie beim Lesen alles, was ihnen positiv auffällt. Wenn sie ein Mitarbeiter Gespräch führen, bereiten sie sich darauf vor, indem sie das Jahr oder welchen Zeitraum auch immer sie besprechen, Woche für Woche nochmal durchgehen. Finden sie IHRE blank spots und überlegen sie sich, wie sie dies für SICH in Zukunft ändern können.

 

2. Würdigen sie tendenziell die Anstrengung, das Engagement, und nicht den Erfolg einer Sache.

Denken sie daran, wir alle geben immer unser Bestes. Und falls es ihnen hilft; zu Goethes Zeiten war die Frage nach dem Erfolg einer Sache immer die Frage nach dem Verlauf und nicht dem Ergebnis. Diesen Wechsel im Sprachgebrauch, verdanken wir der Fixierung auf messbare Höhepunkte, also einer Wettbewerbs orientierten Kultur.

 

3. Finden Sie Übereinstimmungen

und lassen sie ihre Gegenüber dies wissen. Machen sie das nicht kompliziert. Das können Kleinigkeiten sein, völlig Unbedeutendes. Bedeutsam ist, dass sie die Übereinstimmungen finden und benennen.

 

4. Machen Sie keine Änderungsvorschläge

Es sei denn es geht um einfache mechanische oder handwerkliche Tätigkeiten. Und auch dann: Seien sie sich bewusst, dass jeder Ratschlag etwas darüber aussagt, wie Sie dies tun würden und nichts darüber ob dies zur Entwicklung ihres Gegenüber beitragen würde. Ratschläge sind nur allzuoft Schläge. Und die führen selten zur Entfaltung. Lernen braucht Fehler, das Ausprobieren und die eigene Erfahrung. Jeder muss seine Probleme selbst lösen. Gute Pädagogen wissen das. Gute Führungskräfte auch.

 

5. Wenn sie was Negatives zu sagen haben

machen sie es kurz und schmerzlos. Reden sie nicht um den heißen Brei herum und gehen sie sicher, dass sie dem Anderen in dieser sehr offenen Situation nicht hintenherum eins Auswischen wollen.

Beherrschen sie sich. Wenn sie fünf Probleme gefunden haben, beschränken sie sich auf zwei! Zwei können einem schon das Rückgrat brechen.

 

Und vergessen sie nicht: auch sie können sich irren. Gutes Feedback zu geben ist eine der seltensten Eigenschaften auf diesem Planeten. Hier können sie lernen, sich dahin zu tasten. Und seien sie nicht zu streng mit sich selbst. Wir sind alle in einer Kultur der Kritik und des besser Wissens aufgewachsen. Es wird eine Weile brauchen um zu verstehen, was dem anderen wirklich nutzt –oder wie ich ihn frustriere.

Und da ist ihre oder meine Wahrnehmung dessen, was gut oder schlecht ist (oder was wir gerade dafür halten) völlig unerheblich neben dem Imperativ weiter zu machen, weiter zu lernen, Raum für Entfaltung zu schaffen, sich selbst und in den anderen zu vertrauen und vielleicht sogar Freude daran zu haben.

So: Keep it positive.
Our fellow aviators have shown incredible guts, just to get this far. The most important thing to help ‘em keep flying.

 

Danke an Steven Pressfield – dessen Blogbeitrag mich daran erinnert hat, dass ich seit der Geschichte mit den beiden PE’lern über Feedback schreiben wollte. Danke auch für seine inspirierende Art der Zusammenstellung, die ich in Teilen übersetzt und übernommen habe und Dank an Boudewijn Vermeulen, der in seiner Arbeit vor Jahrzehnten schon die Wichtigkeit der Beziehungsebene vor der Sachebene hervorgehoben hat und die Grundlagen für mein Verständnis von Kommunikation gelegt hat.