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„Jeder Mensch besitzt eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die auch im Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Daher lässt es die Gerechtigkeit nicht zu, dass der Verlust der Freiheit bei einigen durch ein größeres Wohl für andere wettgemacht wird.“

 John Rawls: A Theory of Justice (1971)

Rawls ist kein Niemand. Er ist ein Schwergewischt der politischen Philosophie auf den sich Größen wie Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Thoreau etc bezogen haben. Die Bedingungen für zivilen Ungehorsam sind vermutlich auch heute erfüllt. Und gerade die Vernünftigen, Gebildeten, nicht Verschwörungsaffinen sollten dazu in der Lage sein, das zu erkennen und dementsprechend zu handeln.

Warum um alles in der Welt tun sie’s nicht? Vermutlich aus dem gleichen Grund aus dem es auch mir schwer fällt diesen Beitrag zu schreiben. „How dare you“ – „Wie kannst du es nur wagen!“ taucht auf. Die gerechte „Causa Corona“ ist nach fast einem Jahr so tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass es tatsächlich verräterisch erscheint sie in Frage zu stellen oder gar zur Verweigerung ein zu laden.

Gerade dann muss man’s aber tun.

Vorab etwas Persönliches

Für die 68 Studentenrevolten war ich noch zu jung. Aber ich komme aus einer Generation, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert hat -ich musste tatsächlich als 18 Jähriger vor einem Tribunal von alten Männern für etwas einstehen, was in meinen Augen völlig normal sein sollte: Frieden und Gewaltlosigkeit. Wir sind alle gegen die Volkszählung auf die Barrikaden gegangen, meine Frau hat sich in Wackersdorf verprügeln lassen und unsere Freunde haben in Gorleben protestiert.

Dinge in Frage zu stellen gehörte tatsächlich zur humanistischen Bildung.
Jeder hatte auf seine Art „skin in the game“.

Und jetzt
Ziviler Ungehorsam –

Ja wo isser denn?

Zweiter Shutdown, massive Einschränkungen, überall verhüllte Gesichter und die Beamten taumeln von einem Maßnahmen „High“ zum nächsten. Alle halten still und hoffen auf baldige Besserung.

Ganz Gallien? Nein, ein Häuflein Verrückter leistet hartnäckig Widerstand -die Verschwörungstheoretiker, Aluhutträger, Q Anhänger, ein paar „frei“ Journalisten die die Krise als Chance berühmt und reich zu werden entdecken und immer wieder die Partyjugend, die Böse…

So ähnlich sieht es gerade aus.
Ich frage mich tatsächlich warum gerade die „Vernünftigen“ nicht mit dabei sind. Warum nicht ALLE Widerstand leisten.

Es geht hier um Propaganda, einen Staat, der die Diskussion über seine Entscheidungen komplett verweigert, Profite in der Krise in einem noch nie gewesenen Ausmaß, das völlig Fehlen von Leadership, um „empty suits“ die ungehindert autokratisch den Kurs bestimmen und um ein Volk, dass bereitwillig auf Grundrechte verzichtet und sich einen Maulkorb nach dem anderen verpassen lässt. Und die Einzige Diskussion die geführt wird geht reduktionistisch über ein paar Zahlen die das Gesundheitsministerium täglich in unser Bewusstsein einhämmern lässt.

Wie lange wollen wir noch so weiter machen? Haben uns 60 Jahre Sicherheit und Wohlstand verweichlichen lassen? Sind wir kollektiv dank gleichgeschalteter Medien, Handy Sucht und Bequemlichkeit verblödet? Haben wir Angst unser bisschen Wohlstand zu verlieren?

Wo sind die Mutigen, die sich trauen, Regeln zu brechen, die Rechts- und Staatstheoretiker, die tatsächlich „Wissen“ wovon sie reden, wo die Mediziner, Soziologen, Psychologen die anderer Meinung sind – oft übrigens auf eine erschreckend fundierte Weise, wo die Opposition, die die Regierenden herausfordert und prüft und in ihre Schranken verweist. Wo der zivile Ungehorsam der auf Hausarreste, Offenlegung persönlicher Daten, staatliche Willkür reagiert.

In Deutschland sind die Straßen heute nach 21:00 wie ausgestorben.

How boring.

Noch einmal zur Erinnerung Rawls

“Justice is the first virtue of social institutions, as truth is of systems of thought. (…) Each person possesses an inviolability founded on justice that even the welfare of society as a whole cannot override. For this reason justice denies that the loss of freedom for some is made right by a greater good shared by others.”

„Die Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Gedankensystemen. (…) Jeder Mensch besitzt eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die auch im Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Daher lässt es die Gerechtigkeit nicht zu, dass der Verlust der Freiheit bei einigen durch ein größeres Wohl für andere wettgemacht wird.“

 John Rawls: A Theory of Justice (1971)