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Wikileaks, Plagiat-Jäger, NSA, Extremismus. Eine Welt ohne Misstrauen ist nicht mehr vorstellbar. Wir zweifeln an Allem und Jedem. Uns selbst eingeschlossen. Und tun – nichts was uns da rausholen würde. Misstrauen als lähmender Systemzustand? Und eine Idee, wie es da doch raus gehen könnte…

 

Die Geschichte fing vor ein paar Tagen ganz harmlos an. Ich spreche mit einem befreundeten Arzt, der sich selbst einer kleineren Operation unterziehen musste. Eigentlich wollte ich nur wissen wie es ihm geht. Das darauffolgende Gespräch drehte sich jedoch weitgehend um seine Empörung – verursacht durch eine in meinen Augen völlig normale Privatliquidation.

Mit dem kleinen Unterschied, dass mein Freund als Kollege und Profi das Kauderwelsch auf den gut 2 Dutzend Rechnungspositionen -inclusive der standardisierten Begründungen für die „notwendigen“ Überschreitungen des normalen Satzes- lesen konnte und dabei entdeckte, das diese Rechnung völlig überzogen war und keinesfalls dem relativ einfachen Eingriff gerecht wurde. Zudem fanden sich mehrere Leistungspositionen die de facto nicht erbracht wurden und die vermutlich nicht irrtümlich auf der Rechnung gelandet waren.

Seine Empörung bezog sich weniger auf den Zustand der Untreue in dem sich sein Kollege befand, sondern darauf, dass man jetzt sogar Kollegen nicht mehr vertrauen könne. Nachzurechnen sei sonst nur bei einer bestimmten Supermarkt Kette nötig und da würden 1 EUR Jobber an der Kasse sitzen und es ginge nur um Cent Beträge.

Ich fand seine Empörung relativ weltfremd und so entspann sich ein längeres Gespräch. Da mein befreundeter Arzt zudem Therapeut ist, glücklicherweise ein reflektiertes und ergiebiges. Zumindest wenn man nach Gandhi geht, der gesagt haben soll: „honest differences are a healthy sign of progress.“

Mein Anfangsverdacht wurde im Laufe des Gespräches immer stärker: Misstrauen ist ein kollektives Phänomen, ein allgemein anerkannter Seins Zustand über den ich eigentlich noch nie nachgedacht habe. Ein bisschen wie das Wasser für die Fische. Wir bewegen uns täglich darin und haben kein Bewusstsein dafür. Da sowas im therapeutischen Vokabular nicht vorkommt, verlasse ich die Geschichte.

Conscious - May there be Light

Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto irritierter bin ich.
Es gibt fast keinen Bereich in dem wir noch vertrauen.

  • Sonderangebot – Preissuchmaschine
  • Werbung – Testberichte
  • Politik – lachhaft!
  • Kindern, Partnern
  • Mitarbeitern
  • Führungskräften
  • Unternehmen
  • Banken – nie wieder
  • Börse
  • Ärzten – gleich mehrfach nicht (Diagnose, Therapievorschlag, Medikamente)
  • Diäten
  • Pharmaindustrie – mit Recht …
  • USA – no comment
  • Brüssel
  • Islam
  • Bio
  • Zukunft
  • Klima
  • Gott und seinen Stellvertretern…

 

Bei allem Misstrauen, das durch die Medien, die Affären und die Politik lebendig gehalten und geschürt wird, ist es nicht auffällig, wie wenig (intelligente) Handlung daraus resultiert? Haben wir denn kein Interesse daran, Vertrauen wieder herzustellen.

Bin ich der Einzige der sich darüber wundert?

Zum Beispiel die NSA Affäre. Ich lese fast überall weiterhin Empfehlungen für (amerikanische) Cloud Services, Mail Provider und Apps, die alles über mich verraten, aber völlig ungeprüft angepriesen werden, weil sie so toll sind. Und die natürlich (weiter) genutzt werden. Vielleicht mit ein wenig schlechtem Gewissen. Das scheint aber sowieso zu unserem Lebensgefühl zu gehören.

Aber wer macht sich schon die Mühe ein funktionierendes schöne neues Welt System umzustellen. Never touch a running system… So weit geht das Misstrauen dann anscheinend doch nicht.

 

Ich frage mich, was passieren muss damit Misstrauen zu brauchbaren Handlung führt. Aber anscheinend ist es genau umgekehrt. Ich bin misstrauisch – also muss ich nichts tun. Merkel als role model oder selbst im Zustand des Misstrauens gefangen? Ich würde das vehement bestreiten und trotzdem ist was dran.

Und um hier nicht nur zu jammern auch mal eine Empfehlungen zu NSA: https://prism-break.org/ das ist ein echter call to action. Hier noch die must haves für Android: greenify, clueful, appGuard und redPhone

 

Misstrauen wird mir immer unheimlicher. Ich würde gerne wissen, wie Kulturwissenschaftlern und Soziologen das sehen. Was Misstrauen bei mir und Ihnen ist, können wir aber ohne deren Hilfe erforschen. Und das ist zumindest für mich gruselig genug.

Mir ist relativ schnell klar geworden, dass die deutsche Sprache mit dem Wort „Misstrauen“ schlampig umgeht. Der Begriff ist doppeldeutig. Zuerst gilt es zu unterscheiden. Misstrauen als Haltung oder Gefühl ist nicht gleich Zweifel oder Skepsis in Bezug auf eine konkrete Sache / Situation. Letzteres sind notwendige Fähigkeiten um uns sicher in der Welt zu bewegen.

Hier spielt die sog. Vereinbarungsebene eine Rolle. Also die Fähigkeit des Erwachsenen Ichs Verträge abzuschließen, einzuhalten und bei Notwendigkeit auch zu kündigen. Das bringt immer auch Prüfung oder Kontrolle mit sich und hoffentlich auch Konsequenzen.

Das ist ein Leadership Thema und vermutlich auch für Eltern interessant.

Der Unterschied zu Misstrauen? Sie kontrollieren hier nicht zwanghaft und wenn Sie einen Fehler finden, werden Sie es NICHT persönlich nehmen. Kritik bleibt sachlich. Der Raum bleibt offen.

Das Gegenteil von Misstrauen ist also nicht blindes Vertrauen oder „idiot trust“ wie Trungpa* das wahrscheinlich analog zu seiner „idiot compassion“ genannt hätte, sondern aufmerksame Klugheit. Unterscheidendes Gewahrsein, dass es uns erst ermöglicht uns im System smart und sicher zu bewegen.

 

Misstrauen als Seins Erfahrung? Jetzt wird’s hart. Ich befürchte, wir sind von fürsorglichen Eltern allesamt in einen Zustand des Misstrauens hinein erzogen worden. Erst heißt es trau‘ den Eltern mehr als dir selbst, dann trau‘ keinem Fremden, dann keinem über dreißig und zum Schluss ist Vertrauen nur noch ein Wort aus dem Ethik Unterricht. Die Botschaft: Traue NIEMANDEM.

Ausgenommen deinem Verstand / Urteil -wenn du klug genug bist. Der wird dich durch das Leben bringen.

Das ist paradox und nur die halbe Wahrheit. Ich kann so klug sein wie es nur geht und gleichzeitig an mir selbst und der Welt (ver)zweifeln. Verstand kann Vertrauen nicht ersetzen. Coaches und Therapeuten können dazu endlos Geschichten erzählen.

 

In diesem Zustand des Misstrauens muss mir die Welt letztendlich immer wieder auf’s Neue beweisen, dass sie meines Vertrauens würdig ist und mich somit über das fehlende Selbst Vertrauen hinweg retten. Was sie in der Regel nicht tut.

Dann verlernen wir etwas zu riskieren und mit enttäuschten Erwartungen umzugehen.

Am Ende bleibt Zynismus, Frust und Kapitulation. Ersetzen Sie Kapitulation durch „innere Kündigung“ und schon nähern wir uns den Symptomen die das Gallup Institut seit Jahren in ihren Umfragen zur Arbeitnehmer Zufriedenheit listet.

Und es braucht über die ganze Strecke immens viel Energie um ständig abzuwägen, zu urteilen und unsere (Selbst-)Zweifel unter Kontrolle und vor den anderen verborgen zu halten.

 

In meiner Welt gehört Zweifel / Misstrauen in eine Reihe mit anderen Seins Zuständen wie Opfer(haltung), Mangel (poverty mind), Untreue und Wut / Verletzung.

Allen gemeinsam ist, dass ihnen das „Empowerment“, die Ermächtigung als notwendige Grundlage für Eigenverantwortung und mutige Handlung fehlt. Sie sind absolut unbrauchbar, wenn es um „personal growth“ oder integrale Entwicklung geht.

 

In dem Zustand haben wir die Macht an andere abgegeben: Dann muss ich vor den anderen auf der Hut sein, werde von den anderen ausgenutzt, missbraucht, fühle mich verletzt von anderen und werde es den anderen schon zeigen. Großes Kopfkino. Die daraus resultierenden Handlungen sind in der Regel aber ängstlich, klein und rein reaktiv. Und ein „wir“ hat in diesem Zustand kaum Chancen, von „Notgemeinschaften“ mal abgesehen.

Wir sind mehr oder weniger Patienten. In den krasseren Formen ist es fast unmöglich ohne ein professionelles Gegenüber da wieder heraus zu kommen.

 

Man kann lange an Symptomen herum doktern. Der größte Hebel für den Weg aus dem Misstrauen liegt aber im eigenen Inneren. Es geht darum das Vertrauen in sich selbst, die eigene „basic goodness“ oder das ICH BIN wieder zu entdecken. Selbst kleine Veränderungen auf dieser „Seins Ebene“ haben mitunter dramatische Wirkungen im Aussen.

Leider fühlen sich dafür weder unsere Bildungsstätten noch die Unternehmen zuständig. Denn es ist ja um so Vieles einfacher Menschen zu unterrichten oder zu managen die von dem Urteil anderer abhängig sind und die mit ihren Schwächen beschäftigt sind, als Selbst-bewusste, starke Ichs, die offen sind für starke Gemeinschaften.

Dass damit zugleich wesentliche Qualitäten auf der Strecke bleiben, die die Welt und die Wirtschaft jetzt braucht und vermutlich in Zukunft noch viel dringender brauchen wird, ist kaum jemandem klar.

 

Was kann man/frau jetzt tun? Misstrauen ist kein one trick pony, sondern ein komplexer Zustand, der sich meiner Erfahrung nach dann verändert, wenn ich beginne ihn zu untersuchen und damit zu experimentieren.

Den ersten Test haben sie gerade schon gemacht. Siehe die Absätze weiter oben über NSA mit den Empfehlungen. Hat der „call to action“ zu irgendeiner action geführt? Die action zu einer Veränderung?

Meine Empfehlung: nehmen Sie sich eine der Ideen / Experimente unten heraus, die Sie am meisten anspricht (oder für ganz Mutige, die Sie am meisten verstört/abschreckt) und notieren Sie sich täglich über einen bestimmten Zeitraum ihre Erfahrungen dazu.

 

Lernen Sie zu Unterscheiden. Zwischen pathologischem Misstrauen und Klugheit. Ersteres ist unbrauchbar, Letzteres ist empfehlenswert 😉

Die Vereinbarungsebene würdigen. Gehen Sie nur Vereinbarungen ein, die Sie auch halten können. Halten Sie einmal abgeschlossene Verträge IMMER ein oder wenn notwendig, kündigen Sie sie rechtzeitig.

Kontrollieren Sie Vereinbarungen und seien sie bei Vertragsbrüchen konsequent. Da ist vor allem ein weites Spielfeld in Teams und Familien…

Die Dinge NIEMALS persönlich nehmen. Das klingt einfach – ist aber eine Lebensaufgabe …

Den eigenen Zynismus wahrnehmen Eliminieren Sie ihn nach und nach. Wenn sie sich nicht sicher sind, fragen Sie ihren Partner/in oder Freunde. Die können Ihnen immer sagen ob/wo bei Ihnen der Zynismus durchbricht.

Sich die eigenen Erwartungen bewusst machen. Falls sie mit „Erwartungen“ nicht weiter kommen, erforschen sie ihre Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Befürchtungen in Bezug auf eine Situation. Formulieren Sie sie konkret.

In Beziehungen verstehen, dass der Andere immer die Freiheit hat so zu handeln, wie er/sie will. Und, falls mir das nicht passt: dass es MEINE Enttäuschung ist, MEIN Gefühl und dass dafür nur einer die Verantwortung hat: ICH.

Lernen, dass und wie sie ihre Welt konstruieren. Ja, wir erleben die Welt nicht wie sie ist, sondern wie wir sind. Anais Ninn Mögliche Experimente: Weniger schnell mit Urteilen sein und mehr auf die Sprache achten. Hilfreiche Worte sind: „vielleicht“, ich „vermute“, ich „unterstelle“, ich „habe die Hypothese“. Das hält den Raum offen.

Die Wahrheit sprechen. Nicht unbedingt die Absolute, sondern die Eigene. Und sollten sie sich dabei ertappen, diese Übung zu nutzen um ihre Mitarbeiter, ihren Partner, ihre Eltern, Kinder etc. damit fertig zu machen, wählen sie bitte ein anderes Experiment.

Auf den Ort achten, von dem aus ich spreche/agiere. Benutze ich Worthülsen, repetiere ich um zu überzeugen oder zu manipulieren oder spreche ich als der „Genius“ der ich bin?

LERNEN – und nicht KÖNNEN oder „gut sein“ in den Mittelpunkt stellen. Es geht um ein „open mindset“. Und je mehr Vertrauen sie in ihre Fähigkeit zur Anpassung, dem Lernen auch in schwierigen Situationen entwickeln, desto bunter und aufregender wird das Leben. Ganz abgesehen davon, dass sie sich so völlig neue Chancen schaffen.

Entrümpeln. Wenn sie Sachen/Zeug anhäufen kann Entrümpeln eine sehr effektive Übung sein.

Raus aus der Perfektionismus Falle. Absichtlich mal nur die berühmten 80% machen. Wenn sie klein anfangen wollen: 2 verschiedene Socken tragen (Danke an Boudewijn Vermeulen für diese nur scheinbar lächerliche Übung)

Dankbarkeit entwickeln. Am Besten direkt nach dem Aufwachen 5-10 „Dinge“ finden (und sie benennen) für die sie in ihrem Leben dankbar sind.

Die (Wieder-)Entdeckung des „Grundlegenden Gutseins“. Das Gefühl für „ICH BIN“ pflegen. Das ist unabhängig von „ich habe versagt“ (ich BIN schlecht) oder „ich habe Erfolg“ (ich BIN gut). Einfach nur ICH BIN. Ohne gut oder schlecht.

Den Körper integrieren. Hilft ungemein. Sich in Teilen und dann als Ganzes wahrnehmen. Entspannen, loslassen, einfach nur DA SEIN. Relaxing into your being.

Gott involvieren Es absolut in Ordnung – und hat lange Tradition – Vertrauen an eine Höhere Macht zu delegieren. Und sich so eingebunden, getragen und beschützt zu fühlen.

Misstrauen / Selbstzweifel als das identifizieren was es eigentlich ist: eine Ausrede um nicht zu handeln.

*Trungpa lesen.

 

Und wenn sie alleine nicht weiterkommen? Rufen Sie mich einfach an 089 5024850 oder schicken Sie mir eine Email: ak at roomtomove dot de