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Es war einmal. Gestern beim Lunch. Boss Anzug, technisch hochgerüstet, Accessoires die unmissverständlich Erfolg und Zugehörigkeit signalisieren – auf den ersten Blick klar: Consultant. Kurze Begrüßung und dann ging’s auch schon los:

Ja, natürlich jetzt geht es um die soften Faktoren im Unternehmen. Allem voran: Kommunikation. Das ist DIE Lösung bei rückläufigen Umsätzen, stagnierenden Prozessen, Führungsproblemen, der Grippewelle und der Herbstdepression. Mit Letzterem hat er mich dann ‚rumgekriegt.

Aber ich hätte mir das trotzdem nicht zwei Stunden anhören sollen.

Es setzt „Große Pakete von Weisheit“ (GPW)*. Die Theorien habe ich alle schon einmal gehört. Da ich das Meiste vergesse, ist das eine zeit lang auch interessant. Dann geht es nur noch um dieses „schau her wie fantastisch ich bin“ und die rührenden Versuche unter allen Umständen Recht zu behalten. Als ambitionierter Hobby Therapeut verstehe ich das. Da steht die Großartigkeit auf dem Spiel. Als Axel langweilt mich das und ich schweife ab.


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Zurück auf der Erde kommt dieses Unwohlsein hoch, das mich immer wieder heimsucht, wenn die Welt so radikal verflacht wird. Nein, es ist nicht alles Kommunikation. Alles, was für mich die Schönheit, die Kraft und auch die Freude im Umgang mit unserem komplexen System ausmacht, wird diesem merkwürdigem Spiel zwischen Beratern und Führungskräften geopfert. GPW*. Hauptsache gut dastehen. Inhalte sekundär. Reduktionismus im Zeitalter des Elevator Pitches. Gespenstisch.

Manchmal muss man Opfer bringen, denke ich mir. Aber muss ich deswegen jeden vitalen Impuls unterdrücken? Das ist doch Erstarrung dynamisch vorgetragen. Und zugleich typisch für das was zwischen Führungskräften und Beratern eigentlich passiert. Da muss die Lösung ansetzten. Das Bild dreht sich fast spielerisch. „Er“ ist ja freiwillig hier. Warum soll ich das Opfer bringen. Entschuldigen kann ich mich immer noch später.

Eine Intervention will gut überlegt sein. Ich mache mir da keine Illusionen. Diese Herren sind die Retter der Unternehmen und Helden der Neuzeit.

Aus Trotz regrediere ich erst einmal. Nur so für mich.

Die Helden meiner Welt sind anders. Sie sind eher unscheinbar. Aber sie sind stark. Innen – was man ihnen nicht gleich ansieht. Die Ninjas der Neuzeit.  Schattenkrieger. Sie haben den Mut ins Dunkel zu gehen, fürchten die Tiefe nicht und halten die Ungewissheit / Unwissenheit aus. Manchmal entdecken sie auch einen Schatz oder erschlagen einen kleinen Drachen -aus Versehen. Das ist eine andere Geschichte.

Als ich kurz zu Wort komme wage ich den Vorstoß der die Reserve herauslocken soll. Jetzt oder nie. Endlich aufwachen, den Menschen sehen, nicht die vorgefertigten Sätze, die schon hundert mal gesprochen wurden, sondern den Genius, die Einzigartigkeit dahinter. Ich schlage vor „Kommunikation“ mit all ihren Modellen und Worthülsen durch „Beziehung“ zu ersetzen.

Nur so. Als Experiment.

Ein Danaergeschenk.

Es wird dunkel.

„Beziehung“ – eine Blackbox.

Ich mag das Bild.

Wohltuendes Schweigen breitet sich aus.

In der Stille taucht die Assoziation zur Schatztruhe auf.

Und vergeht wieder.

 

Dann kommen die unvermeidlichen „Ja, ABER…“ Sätze, die ich ignoriere. Manchmal muss man hart bleiben. Und mit selbstgemachter Weisheit kontere ich (GPW a la Axel) ungefähr so: Beziehung ist doch wie ein „Netzwerkkabel“, das zwei komplexe Systeme miteinander verbindet. Erst fließt Strom und dann laufen da die Protokolle und wenn das alles stimmt, können die Datenpakete nur so flitzen.

Ein sehr schönes Bild, das vermutlich ich erfunden habe. Nur leider in Zeiten von WiFi nicht mehr ganz frisch. Aber man sollte die Leute auch da abholen, wo sie sind.

Die Schönheit daran: Mit GPW hebt man keine Schätze. Auch ich nicht. Die Blackbox bleibt zu.

Und fast alle kommen ins Stottern, wenn die Frage auftaucht, was denn „Beziehung“ oder dieses „Kabel“ sei. In meiner Welt ist das gut so. Wenn ich schon alles weiß, kann ich nichts lernen. Manchmal muss man mit leeren Händen auf dem Marktplatz stehen.

Ab hier ist Feingefühl angesagt. Einigkeit herrscht noch bei der Annahme, dass ein defektes Kabel, eine gestörte Beziehung, nichts mehr richtig transportiert. Kaputt ist kaputt. Da hilft auch keine KommunikationsBeratungsOrgie. Soweit reicht das einfache lineare Denken meistens.

Und mit wachsender Einsicht kommt die Vermutung, dass alle Kommunikationsprobleme vielleicht nur Symptome von Beziehungsproblemen sind – und, dass die sogenannten Kommunikationsprobleme sich von selbst lösen könnten, wenn die Beziehungsebene darunter wieder in Ordnung kommt.

Langsam dämmert es, dass da vermutlich ein gigantisch großer Hebel ist. Und ich komme immer mehr in Fahrt. Kleine Bewegung in der Beziehungsebene, große Wirkung auf der Symptomebene. Die so lange beschworene Optimierung der Kommunikationsprozesse gib es dann sozusagen gratis dazu. Den letzten Satz brülle ich fast hinaus.

Jetzt wäre ein fantastischer Moment um mit Beginner’s Mind, der Neugier eines Kindes, den Deckel vorsichtig etwas anzuheben. Alte Urteile, alle GPW und dieses unsäglich lästige Wissen aus der Vergangenheit in dem gemeinsamen, schützenden Raum abzulegen, ja beherzt in den Eimer zu treten und sich zu öffnen, frischen Wind rein zu lassen. Und wieder staunen, sich überraschen lassen, Geschichten aus dem wahren Leben erzählen und gemeinsam einen Impuls verstärken, der unsere Welt und die unserer Klienten rütteln, inspirieren und verändern könnte.

Leider musste mein Gesprächspartner gerade jetzt ziemlich dringend zu seinem nächsten Beratungstermin. Wegen Führungsproblemen in einem mittelständigen Unternehmen die nur mit seiner Expertise als Spezialist für Kommunikationsprozesse gelöst werden könnten. Natürlich.

Das kenne ich schon. Ich hab’s wieder mal verbockt.

Und das Ende von der Geschichte?

Wenn sie nicht gestorben sind, basteln sie fröhlich weiter an Symptomen herum und leben glücklich oder zumindest reich bis ans Ende ihrer Tage – ohne das wirkliche Problem auch nur annähernd angefasst zu haben. Die großartigen Berater und ihre Opfer, die armen GPW geilen Führungskräfte.

‚Tschuldigung.

 

 

*Große Pakete von Weisheit (GPW). Hier die Kurzanleitung.

 

Man nehme ein Thema das gerade „in“ ist oder staube ein altes ab. Entwerfe ein Modell dazu oder kopiere ein altes an das sich kaum noch jemand erinnert. Dies sollte gerade noch noch komplex genug sein um Staunen, ein paar zaghafte Fragen und verhaltene Bewunderung auszulösen. Es darf aber letztendlich Hausfrauen- bzw. Führungskräfte Niveau nicht überschreiten. Und muss natürlich hochglanz-tauglich, schnell zitierbar und einfach sein.

Keine Angst: Das kann eigentlich jeder und es geht fast mit allem.

 

GPW sind leicht enttarnbar: an dem reichlichen Gebrauch von Worthülsen, den nur scheinbar anspruchsvollem Inhalt und den obligatorischen Geschichten, die alles „beweisen“. Der Austausch von GPW in Gesellschaft Gleichgesinnter wird auch gerne für Bullshit Bingo genutzt.